Das heilige Abendmahl
Ein Vorzeichen des Reiches Gottes

Helmut Frank

Machen wir uns nichts vor: Für Menschen - und deren Zahl soll in unserem Land im Wachsen sein - die vor einem Kruzifix verwundert nach "diesem Mann an diesem Kreuz" fragen, ist das Abendmahl wohl erst recht ein tief verborgenes Geheimnis.

Es sind nicht nur die - für sozialisierte Christen freilich vertrauten - Formeln "dies ist mein Leib, dies ist mein Blut", die sich hartnäckig dem Verstand sperren, es ist auch die Atmosphäre, die viele evangelische Abendmahlsgottesdienste bestimmt.

Oft sind diese Feiern vom eigentlichen Gottesdienst abgetrennt, so daß sich nach Segen und Orgelspiel die Bankreihen lichten und der Pfarrer - gleichsam in einem zweiten Gottesdienst - die Dagebliebenen an den Altar bittet. Oft herrscht eine ernste und feierliche Stimmung, in der die Teilnehmenden ernst und feierlich, nach vorne gebeugt - die Hände gefaltet - nach vorne treten, die Oblate und den Wein empfangen und gleich ernsten Schrittes - den Blick nach unten gesenkt - an den Platz zurückgehen.

Protestantische Gewissensforschung

Das Abendmahl ist eine ernste Sache, weil es mit der Buße und der Erforschung des eigenen Gewissens verbunden ist. Aber deshalb wird der Ritus oft als steif und verklemmt empfunden. Nur noch wenig ist dabei von den Feiern der christlichen Urgemeinde zu spüren, von der die Apostelgeschichte berichtet, "sie brachen das Brot mit Freuden".

Bei den ersten Christen stand das Abendmahl im Mittelpunkt. Sie haben "einmütig hin und her in den Häusern das Brot gebrochen", wird in Apostelgeschichte 2,46 erzählt. Es waren nicht nur Zusammenkünfte im Gedenken an das letzte Mahl Jesu mit seinen Jüngern am Abend vor dem Tag der Kreuzigung, sondern in diesen Mahlfeiern wurde auf geheimnisvolle Weise der auferstandene Christus selbst gegenwärtig.

Besonders eindrucksvoll erscheint die Gegenwart Christi im Erlebnis der "Emmausjünger" nach dem Tode Jesu. Worte scheinen bei den beiden desillusionierten Jüngern wenig bewirkt zu haben, als Jesus sie bei ihrer Rückkehr ins Privatleben einholte. Aber als Jesus ihnen das Brot brach, gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn (Lukas 24,30f).

Das letzte Mahl Jesu mit den Jüngern, überschattet vom Tod, ist die wichtigste Wurzel des Abendmahls. Ein Vorbild für unser Abendmahl sind aber auch die Festmahle Jesu mit den nicht gesellschaftsfähigen Menschen seiner Zeit, den Sündern und Zöllnern. Damit kam Jesus bei den Frommen in Verruf, aber dadurch wurden Menschen in die Nachfolge gerufen.

Wenn man den Sinn des Abendmahls verstehen will, ist auch eine dritte Wurzel von Bedeutung, das jüdische Passah-Fest, wie es in 2. Mose 12 beschrieben ist. Wie Gott Israel aus der ägyptischen Sklaverei geführt hat, so führt nun Christus aus unserer Sünde, Angst und Verstrickung heraus. Stand beim jüdischen Passah die Schlachtung des Opferlammes und das Festmahl im Zentrum, so ist für den Juden Paulus nun Jesus das Opferlamm, das für unser Leben den Tod auf sich nahm (1. Kor. 5,7). Auch wenn der jüdische Opferritus für uns keine Bedeutung hat, sind doch entsprechende Formulierungen in den Abendmahlsworten Jesu überliefert: "Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut, zur Vergebung eurer Sünden".

Wie ist aber nun diese Formel zu verstehen? Luthers Verständnis des Abendmahls hat einen seelsorgerlichen Grundzug: Wo ist Gott so für uns da, daß wir ihn erkennen und seine Liebe erfahren können? Weil kein Mensch von sich aus zu Gott kommen kann, hat sich Christus als Mensch in die Welt begeben und schenkt sich als Brot und Wein im Abendmahl uns Menschen, sagt er.

Luther ging es darum, daß der ganze Mensch mit Leib und Seele Gott begegnet, nicht nur sein Intellekt. Diese Sichtweise ist in das Augsburger Bekenntnis eingeflossen, wo es nun heißt: "Der wahre Leib und das wahre Blut Christi sind unter der Gestalt des Brotes und Weines im Abendmahl wahrhaftig gegenwärtig." Das Brot bleibt Brot, der Wein bleibt Wein, aber die Bedeutung von Wein und Brot ist eine neue.

Wenn wir Abendmahl feiern, erinnern wir uns an Jesus, der sagte, »"lches tut zu meinem Gedächtnis". Wir erinnern uns aber nicht im Sinne eines feierlichen Totengedenkens, sondern an Christus, der mitten unter uns ist. Wir vergegenwärtigen im Abendmahl das Heilsgeschehen, nicht nur als vergangenes Werk, sondern als Wirken Gottes in unserem Leben, jetzt und in der Zukunft. Das große Geheimnis des Abendmahls ist die in Jesus Christus beschlossene Erneuerung unseres Lebens. Die »Grundsünde« des Menschen, seine Trennung von Gott, sie ist im Abendmahl aufgehoben. Im Wort "für euch gegeben und vergossen zur Vergebung der Sünden" spiegelt sich das große Versöhnungswerk Gottes mit uns Menschen wider, das Leben Jesu bis zum Tode am Kreuz, uns zum Heil.

Dies gilt für alle Christen gleich, auch wenn ausgerechnet das Abendmahlsverständnis vorgeschoben wird, um die Trennung der Konfessionen zu rechtfertigen. Die katholischen Bischöfe haben bereits signalisiert, daß es beim ersten ökumenischen Kirchentag in Augsburg im Jahr 2002 kein offizielles gemeinsames Abendmahl geben wird. Der Theologe Jörg Zink vermutet deshalb in seinem aktuellen Buch "Zum Abendmahl sind alle geladen", daß die theologische Grenzziehung im Abendmahlsverständnis nur dazu dient, bestehende Machtstrukturen zu erhalten.

Die Zukunft der Kirche, so ist zu hoffen, liegt nicht im Erhalt von Macht, sondern in der Gemeinschaft der Glaubenden in einer freudigen Erwartung des Reiches Gottes. Man sollte auch darüber nachdenken, ob dazu auch Nichtchristen eingeladen werden können. Es würde der Gemeinde gut anstehen, wenn sie im Zentrum ihrer Gotteserfahrung nicht unter sich bleibt. Das Risiko besteht nur für den Gast: Daß er Christus begegnet in einer Gemeinde, die ihr Bestes mit ihm teilt.

Jedenfalls sollte man das gemeinsame Abendmahl mit Christen anderer Konfessionen nicht von deckungsgleichen Glaubensgrundsätzen abhängig machen. Jesus hätte etwas dagegen. Im Abendmahl werden Unterschiede bedeutungslos und wird die Einheit geschaffen. Schließlich ist das Abendmahl keine Mitgliederveranstaltung, sondern Jesus selbst lädt uns dazu ein. Jesus speist mit Sündern und Zöllnern in deren Häusern, ist aber immer selbst der Gastgeber. Paulus bringt dies zum Ausdruck, wenn er sagt: "denn ein Brot ist's, so sind wir viele ein Leib, weil wir alle eines Brotes teilhaftig sind" (1. Kor 10,16).


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