Gott und die Götter - Das lange Ringen um den einen Gott

Rainer Gollwitzer

Gott ist einer. Dieser Eine ist es, an den wir glauben. So die Überzeugung der Christen, die sie von ihren Vorfahren im Glauben, den Juden, übernommen haben. In deren Credo, Deuteronomium 6, ist dies der erste, der wichtigste Satz: »Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr allein«. Zu diesem Einen Herrn bekennen sich Juden und Christen. Ihre Religionen sind monotheistische Religionen, und ihre heiligen Schriften voller Belege für diese Glaubensüberzeugung.

In den ältesten Schichten des Alten Testaments ist diese Überzeugung freilich nicht von vornherein festgeschrieben. Da und dort schaut den Überlieferungen noch die eine oder andere Vorform des monotheistischen Glaubens über die Schulter. Von den inneren und äußeren Kämpfen, die es gebraucht hat, das Volk Israel für den Einen zu gewinnen, legen die Geschichte von Mose und den Propheten beredt Zeugnis ab.

»Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei!« heißt es auf der ersten Seite der Bibel. Lange Zeit hat man das »Uns« dieser Gottesrede für einen Pluralis majestatis gehalten. Majestäten aller Zeiten sprechen gerne in der Mehrzahl von sich selbst. Hier aber scheint die alte literarische Vorlage für den Schöpfungsbericht durch. Israel hatte den babylonischen Schöpfungsmythos kennengelernt und aufgenommen, ihn von seiner Vielgötterei befreit, entmythologisiert und auf den Einen, eben auf seinen Gott bezogen. In der Überlieferung von den Erzvätern des Volkes Israel finden sich ähnliche Spuren. So sehr Abraham und Isaak und Jakob bereits dem Einen ergeben sind, lassen doch die Texte noch andere Götter neben ihnen erahnen. Von Lokalgottheiten und Naturgottheiten, wie sie auch in anderen Religionen verehrt werden, ist bei näherem Hinsehen die Rede; an besonderen Quellen, in prominenten Oasen werden sie verehrt.

Als das theologische Ringen um den Einen Gott einigermaßen ausgestanden ist - dauernde Rückschläge inbegriffen - haben die Theologen des Einen die frühen Überlieferungen überarbeitet und die Erzählungen vom »Gott der Väter« in den neuen Gesamtzusammenhang integriert. Eigenartig in der Schwebe zwischen polytheistischem und monotheistischem Glauben ist etwa die Erzählung von den drei Besuchern - oder dem einen Besucher? - die Abraham, 1. Mose 18, im Hain Mamre gastfreundlich bewirtet. Der Glaube an den Einen ist erst »im Werden«, selbst innerhalb der Heiligen Schrift.

Auch der Gott, der sich Mose aus dem brennenden Dornbusch offenbart, trägt, wie er im Buch Exodus geschildert ist, durchaus noch die Züge einer lokalen Gottheit, wenngleich seine erhabene, bis auf den heutigen Tag rätselhafte Selbstbezeichnung »Jahwe« - »Ich bin, der ich bin. Ich werde sein, der ich sein werde« - deutlich in Richtung des Einen zielt. Dessen muß Mose sich freilich erst in weiteren Offenbarungen zunehmend gewiß werden. Elia, Generationen später, wird den Einen erleben als den, der eben nicht in großartigen Naturphänomenen, in Sturm und Gewitter, Feuer und Erdbeben begegnet, sondern »in einer Stimme verschwebenden Schweigens«.

Das Alte Testament ist im Grunde ein einziges großangelegtes Ringen des Einen Gottes um den Glauben der Seinen. Noch während er sich dem Mose auf dem Berg offenbart: »Ich bin der Herr, dein Gott, du sollst keine anderen Götter haben neben mir« - entsteht zu Füßen des Berges das Goldene Kalb. Eine Gottheit zum Anschauen, Anfassen, Begreifen. »Du sollst dir kein Bildnis machen«! Dieses Gebot des nicht abbildbaren Gottes ist auch in Folgezeiten zu schwer, um gehalten werden zu können. Die alte Sehn-Sucht, etwas sehen und etwas haben zu wollen von seinem Gott, regt sich auf abenteuerlichste Weisen. Andere Religionen locken mit sinnenfrohen Kulten und Festen, mit zahlreichen Göttinnen und Göttern, mit Tempeldirnen und kultischer Prostitution.

Selbst zu aufgeklärten Königszeiten ist der Kampf nicht ausgestanden. Als der junge David vor Saul über die Grenze flieht, hat er Sorge, ob der Gott Israels auch im Nachbarlande »zuständig« sei. Selbst das feinsinnige Tempelweihegebet des Salomo weiß zwar, daß aller Himmel Himmel dich nicht fassen können«. Aber die Formulierung »Es ist kein weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich!« scheint doch mit der Existenz weiterer Götter zu rechnen.

Der Kampf der Propheten kann die Reinheit des Jahwe-Glaubens nicht retten. In bewegender Gottesrede schildern Jeremia und Hosea das Werben Gottes um sein Volk, etwa als unglückliche Liebe eines Mannes zu seinem treulosen Mädchen. Er, der alles nur Mögliche, ihn selbst Demütigende, für diese Liebe tut! Sie, die sich lachend mit anderen prostituiert! Am Ende wird die theologische Schule des Deuteronomisten die Katastrophe der Zerstörung Jerusalems und der babylonischen Gefangenschaft als Strafe für das stete »Fremdgehen« des Volkes mit den »anderen Göttern« deuten.

Mitsamt seiner novellistischen Harmlosigkeit ist im übrigen das nachexilische Büchlein Jona ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zum Monotheismus. Selbst auf dem offenen Meer, weit weg von Israel, so die epochemachende Entdeckung des Propheten, ist der Gott Israels, »der doch Himmel und Erde gemacht hat«, weltweit alleine zuständig. Oder, wie der 139. Psalm es unvergleichlich schön ausdrückt: »Nähme ich Flügel der Morgenröte und flöhe zum äußersten Meer, deine Hand würde mich selbst da führen, selbst dort deine Rechte mich halten.« Für den Glauben Jesu endlich ist die Frage nach anderen Göttern keine ernstzunehmende Frage mehr.

Indes ist der Kampf um den Glauben an den Einen Gott längst nicht ausgestanden. Ob die großen Weltreligionen mit ihren diversen Göttern letztlich nicht denselben Einen meinen? Wie, wenn sie ihn bisher eben nur aus der je eigenen, also kulturell und historisch eingeengten Perspektive wahrgenommen hätten, also dringend die Ergänzung durch die Perspektiven der anderen bräuchten? Müssen »alleinseligmachende Alleinvertretungsansprüche« allmählich aufgegeben werden, um an den Einen glauben zu können? Das ist die Frage, die künftiger Theologie zur Beantwortung aufgegeben ist.


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