Auferstehung
Der Eingriff Gottes in unsere Wirklichkeit

Andreas Ebert

In den letzten Jahren wurden "Nahtoderlebnisse" von klinisch Toten dokumentiert, die wiederbelebt wurden. Die Berichte ähneln sich erstaunlich: Zunächst löst sich der "Tote" vom Körper, er sieht den eigenen Leib von außen. Dann läuft im Zeitraffer rückwärts eine Art Lebensfilm ab. Anschließend führt der Weg in einen Tunnel, an dessen Ende es hell ist. Bereits verstorbene Verwandte und Lichtgestalten (Engel?) kommen der "Seele" entgegen und begrüßen sie. Manche der Befragten sprechen auch von Begegnungen mit Christus. Wenn der "Tote" dann wiederbelebt wird, spürt er einen Sog, der ihn in den Körper zurückzieht. Fast alle, die solche Erlebnisse hatten, sagen, sie hätten dadurch die Todesfurcht verloren und würden seither viel gelassener leben.

Freilich: Diese Menschen schildern Erlebnisse vor dem endgültigen "Hirntod". Es könnte sein, daß diese Erlebnisse letztlich Hirnprodukte sind wie Träume oder Halluzinationen. Etwas Objektives über ein nachirdisches Leben läßt sich aufgrund solcher Erlebnisse nicht sagen. Und vom wirklichen Tod ist noch keiner zurückgekehrt.

Keiner? Doch: Einer! Jedenfalls behauptet das die christliche Kirche. Es gäbe kein Christentum, wenn nicht eine Reihe von Menschen im Jahre 30 nach Christus übereinstimmend folgendes erlebt hätten: Sie haben den hingerichteten Jesus "gesehen", gehört, berührt. Sein Grab war leer. So ist es -zigfach im Neuen Testament bezeugt. Die ersten Christen haben das so gedeutet: "Gott hat Jesus auferweckt und bestätigt. Gott ist mächtiger als der Tod. Er wird auch uns auferwecken." Das hat zahllose Christinnen und Christen befähigt, sogar den Märtyrertod auf sich zu nehmen.

Der Glaube an die Auferstehung war zur Zeit Jesu nicht gang und gäbe. In den Schriften des Ersten ("Alten") Testaments taucht er nur am Rande auf. Man erwartet von Gott zunächst einmal irdisches Glück. Das Totenreich ist ein trister Ort, weil der lebendige Gott mit den Toten nichts zu tun hat. Erst gegen Ende der alttestamentlichen Zeit kristallisiert sich eine Auferstehungshoffnung heraus. Die Sekte der Pharisäer glaubte an die Auferstehung. Jesus auch. Die Sadduzäer, zweite mächtige Partei in Israel, lehnten diese Vorstellung ab. Darüber wurde heftigst gestritten.

Übrigens auch in der frühen Christenheit. In der Gemeinde von Korinth gab es Leute, die eine allgemeine Auferstehung leugneten. Ihnen widerspricht der ehemalige Pharisäer Paulus nachdrücklich: "Gibt es keine Auferstehung der Toten, so ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Predigt sinnlos - und euer Glaube. Wir (Apostel) wären falsche Gotteszeugen... und ihr wärt nach wie vor in euren Sünden. Hoffen wir ausschließlich im irdischen Leben auf Christus, dann sind wir die elendsten aller Menschen." (1. Kor. 15,14ff).

So alt wie der Streit um das "Ob" der Auferstehung ist die Auseinandersetzung um das »Wie«. Die einen glauben an ein Weiterleben der Seele, die sich nach dem Tod vom Körper trennt. Andere lehren den "Ganztod": Der ganze Mensch stirbt - und der ganze Mensch wird am Jüngsten Tag von Gott auferweckt und neugeschaffen.

Martin Luther vertrat eine vermittelnde Auffassung. Für ihn ist der Tod eine Art Tiefschlaf: "Paulus sagt, daß Christus von den Toten auferstanden sei, aber von den anderen, daß sie schlafen. Sie sind mehr als zur Hälfte lebendig. Weil das Haupt auferstanden ist, ist der andere Teil des Leibes nicht im Tod, sondern im Schlaf. Christus ist aller Christen Haupt. Der ist bereits hindurch, dann folgen die Hände usw. von selbst. Der Leib hängt ja zusammen... Gleichwie die Weiber sagen: Wenn das Kind mit dem Kopf geboren ist, so hat's nicht Not. So wir ihn im Glauben als unser Haupt festhalten, was ist dann unser Tod? Ein Schlaf."

Theologen unseres Jahrhunderts haben sich mit der Auferstehung schwergetan. Nach Ansicht Rudolf Bultmanns sind die biblischen Geschichten von der leiblichen Auferstehung Jesu und vom leeren Grab nicht historisch zu verstehen. Die Urgemeinde hätte in einem mythologischen Weltbild gelebt. Ihre Erfahrung, daß mit dem Tod Jesu seine »Sache« nicht erledigt ist, hätten die ersten Christen in das Bild der Auferstehung und des leeren Grabes gekleidet. Wir Heutigen dürften dieses Weltbild nicht übernehmen, sondern müßten, ohne Beweise zu haben, den blinden Sprung des Glaubens wagen. Die Suche nach "Fakten" sei geradezu ein Zeichen des Unglaubens, der Sicherheit haben will anstatt zu vertrauen.

Die Leugnung der leiblichen Auferstehung Jesu durch zahlreiche Theologen hat den Glauben für "moderne Menschen" aber keineswegs plausibler gemacht. Im Gegenteil. Hoffnung bedarf gerade für heutige Menschen auch naturwissenschaftlicher Argumente, auch wenn es natürlich keine "Beweise" der Auferstehung geben kann. Seit Bultmann, der in den 40er und 50er Jahren schrieb, hat sich das physikalische Weltbild erheblich gewandelt. Nach Einsichten der neueren Physik geht Energie niemals verloren, sondern wird immer nur "umgewandelt". Auf diesem Hintergrund ist die Vorstellung, daß irdisches Leben im Sterben in einen anderen Zustand übergehen könnte, keine »mythologische Vorstellung«, sondern durchaus einleuchtend.

Auch Materie und Geist gelten heute nicht mehr als Gegensätze, sondern als zwei Erscheinungsformen der einen Wirklichkeit. Den Evangelisten war wichtig, daß der Auferstandene eine - wenn auch andere - "Leiblichkeit" besaß. Er kann beispielsweise durch geschlossene Türen gehen. Vielleicht könnte man den neuen Körper mit einem Ausdruck aus der Homöopathie als "feinstofflich" bezeichnen. Paulus spricht von einem "geistlichen Leib", den auch wir nach dem Tode erhalten.

Die Urgemeinde hat die Auferstehung Christi als Eingriff Gottes in die gesamte Wirklichkeit empfunden. Weil aber die Auferstehung die ganze Wirklichkeit verwandelt, können wir jetzt schon im Licht der Auferstehung leben. Aufgrund der Auferstehung sind Christinnen und Christen "Protestleute gegen den Tod" (Christoph Blumhardt). Denn der Tod tritt nicht erst ein, wenn wir physisch sterben. Er regiert überall da, wo Kommunikation abbricht, Ungerechtigkeit herrscht, Haß und Schweigen das Leben vergiften. Und es gibt eine Auferstehung vor dem Tod, wenn Menschen wach und lebendig miteinander und füreinander leben. Den ersten Christen hat ihre Umwelt abgespürt, daß sie unzerstörbares Leben bereits in sich trugen. "Ich lebe - und ihr sollt auch leben!" hat Jesus gesagt. Das trifft und tröstet mich. Das verändert mein Leben vor dem Tod - und mobilisiert mein Hoffen über den Tod hinaus.

Gibt es nach dem Tod neben dem "Himmel" etwa auch eine "Hölle"? Müssen wir womöglich damit rechnen, daß sich unsere Seele immer aufs neue wiederverkörpert, als Mensch oder Tier, bis sie so geläutert ist, daß sie in den ewigen Frieden eingehen kann? Diese und einige weitere Fragen, die mit der Auferstehung zusammenhängen, werden wir an späterer Stelle dieser Serie behandeln.


Zurück zur Übersicht