Himmel und Hölle - Vom Chaos zum Kosmos

Rainer Gollwitzer

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde«. Dieser erste Satz der Heiligen Schrift ist die wichtigste Aussage des Glaubens. Alle weiteren folgen daraus. Das war freilich nicht immer so. Es muß Zeiten gegeben haben, in denen unsere Vorfahren im Glauben, die Israeliten, noch nicht nach der Entstehung von »Himmel und Erde« fragten - und doch glaubten.

Urdatum ihres Glaubens ist der Exodus, Urerfahrung ist der Gott, »der uns mit starkem Arm aus Ägypten geführt hat«. Das Volk Israel verehrt zunächst den, »der mitgeht« und sie durch Schilfmeer und Wüste »begleitet«. Es erfährt einen »mobilen Gott«, der zur freudigen Überraschung ein »Kriegsmann« ist und siegreich auf der Seite der israelitischen Stämme kämpft, bis sie im Land sind, »wo Milch und Honig fließt«. Zunächst verehren sie also den »Gott ihrer Stammesgeschichte«. Der »Gott der Ur-Geschichte« steht noch nicht auf der Tagesordnung der Nomaden.

Der Glaube an den Schöpfer ist erst im Kulturland »gewachsen« und durch zeitgemäße Anfragen »geworden«. Die Nachbarschaft zu anderen Kulten mit ihren Vorstellungen von der Entstehung der Welt und des Himmels ist eine Herausforderung. In deren Schöpfungsmythen ist die Rede von streitenden Urgottheiten, im Grunde von gigantischen Kämpfen zwischen den Naturgewalten. Daraus seien Himmel und Erde hervorgegangen: eine Scheibe, von Ozeanen umgeben und von einer Kuppel überwölbt.

Israel übernimmt diese »neuesten« Vorstellungen und bearbeitet sie im Sinne seines Glaubens. Genesis 1 entmythologisiert die Mythen der Nachbarn und setzt anstelle der zahlreichen Naturgottheiten seinen Gott ein als den, »der Himmel und Erde gemacht hat«, eben »alles« und das »All«. Der Eine Gott arbeitet mit dem alleinigen Mittel seines Wortes. Er spricht sein göttliches »Es werde!« und »Es ward!« Oder, wie es Psalm 33 ausdrückt: »Er spricht, und es geschieht, er gebietet, und es steht da«. So »macht« er durch sein Wort das »Chaos« zum »Kosmos«, das »Tohuwabohu« zur herrlichen Ordnung der Schöpfung. Dazu erschafft er zuerst das Licht, scheidet dann das Licht von der Finsternis und verweist die lebensfeindlichen Unwasser auf ihre Plätze. Damit sie nicht von allen Seiten auf die Erdscheibe hereinstürzen, »macht« er eine »Feste«, das »Firmament«, »breitet den Himmel aus wie einen Teppich«, »wölbt« ihn wie ein Zelt. So »zähmt« er die Wasser des »Himmelsozeans« - das Blau des Himmels, dachte man, rührt von einem Meer her; verständlich, weil doch vom Himmel tatsächlich schier unendliche Wassermassen kommen können. Erst das Himmelsgewölbe, das Firmament, ermöglicht Leben auf der Scheibe, Leben inmitten lebensbedrohender Fluten.

»Droben am Himmel«, irgendwo »über den Wolken«, stellt man sich die »Wohnung des Höchsten« vor. Aus der fährt er gelegentlich herab und »nimmt Wohnung« da und dort und vor allem im Tempel. Im Himmel »thronend« regiert er Blitz und Donner, »Wolken, Luft und Winden gibt er Wege, Lauf und Bahn«. Der Himmel ist der Ort, von dem aus der »statische Gott« mit seinem Wort das Regiment über jeden einzelnen Menschen und ganze Völker wahrnimmt.

Bald bricht der Glaube Israels die enge Vorstellung eines eindeutig lokalisierbaren Himmels über den Wolken auf. Gott ist allemal »größer als das Herz des Menschen« und damit größer als alle menschliche Vorstellungskraft. Israel lernt, daß Gott überall ist. Die aufkommende Apokalyptik spekuliert, sicher zu Unrecht, über die Anzahl verschiedenster Himmel und schier unendlicher Engelshierarchien, macht sich aber zu Recht Gedanken über die Größe Gottes, und für die ist ein nur »statisch« geglaubter Himmel sicherlich zu klein. Jahrhunderte später bringt eine kleine Anekdote den Glauben an die Größe Gottes auf den Punkt. Ein Rabbiner sagt zu einem Kind: »Du bekommst einen Taler, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt.« Das Kind antwortet: »Und du bekommst einen Taler, wenn du mir sagst, wo er nicht wohnt.« Der Himmel als Ort über den Wolken hat ausgedient. Gott ist größer, statischer und mobiler als alles Denken und Verstehen. Diese Einsicht wächst, je mehr die unvorstellbaren Ausmaße des Alls bekannt werden.

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.« Wo, um Himmels willen, kommt dann die Hölle her! Teil der Schöpfung ist sie offenbar nicht. Israel lernt das dreigegliederte Weltbild der Antike kennen - oben der Himmel, in der Mitte die Erde, unten die Hölle - und integriert es im Sinne seines Glaubens. Die zunächst fremde Vorstellung vom Teufel als dem mächtigen Gegenspieler Gottes wird ebenfalls integriert. Dem Teufel wird sein Platz in der Hölle als »Wohnung« angewiesen. Wieder ist es die Apokalyptik, die spekulativ übertreibt, sich die Hölle als Ort in allen Details und in Farbtönen von Pech und Schwefel ausmalt und von ganzen Teufelsdynastien bewohnt denkt. Wo das Alte Testament bei sich selbst bleibt und den Glauben an den Lebendigen am reinsten verkündet, wird selbst die Hölle als ein Ort geschildert, der selbstverständlich auch in Gottes Zuständigkeitsbereich liegt. Psalm 139 bekennt: »Führe ich zum Himmel, so bist du da. Bettete ich mich in die Hölle, siehe, du bist ja auch dort!« Die Hölle ist dem Schöpfer nicht versehentlich untergekommen und nicht teuflisch hinter seinem Rücken entstanden. Sie ist sein Hoheitsgebiet.

Das Neue Testament kann von Himmel und Hölle noch ganz im herkömmlichen Sinne sprechen. Es deutet sich aber, etwa im Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus aus Lukas 16, bereits eine neue, noch heute hilfreiche Interpretation an. Himmel und Hölle sind nicht Orte über den Wolken oder unter der Erde. Himmel und Hölle sind Erfahrungen der Nähe oder der Ferne des lebendigen Gottes. Himmel und Hölle können im Grunde überall und zu jeder Zeit sein. Wo Gott ist, da ist »lauter Himmel«. Wo er nicht zu sein scheint oder den Menschen »gottlos« abhanden gekommen ist, da ist »das Leben die Hölle«. Gott wohnt mitten unter den Menschen und in ihnen. Die rabbinische Weisheit ergänzt sinngemäß: Der Himmel ist, »wo man Gott einläßt.« Eine gottlos gewordene Welt und gottlose Lebensumstände sind die Hölle.


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