Das Kreuz - Der Skandal um das Kreuz

Elisabeth Hann von Weyhern

Im Sommer 1996 wurde das Kreuz zum Fall für die Justiz. Anstoß erregte das Kreuz im Schulzimmer. Eltern haben bis zum Verfassungsgericht dagegen geklagt - erfolgreich. Nichtchristlichen Kindern sei der Anblick des Kreuzes nicht zumutbar. Das christliche Symbol im Klassenzimmer sei mit dem Grundsatz der weltanschaulichen Neutralität des Staates und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit nicht vereinbar.

Zwischen den Jahren 27 und 33, über das genaue Datum streiten sich die Gelehrten, wurde der Fall Jesus zum ersten Mal vor Gericht verhandelt. Was wissen wir zuverlässig darüber? Wir kennen das Urteil: Tod durch Kreuzigung. So makaber das klingt, die Kreuzigung ist das historisch sicherste Faktum, das wir über das Leben Jesu haben. Voneinander unabhängige außerbiblische Quellen berichten, daß ein Mann namens Jesus durch die Römer zur Zeit des Präfekten Pilatus (26-36) gekreuzigt wurde. Geschehen ist das an einem Freitag, darin sind sich alle vier Evangelien einig. Wie lautete die Anklage? Hier sind wir auf das Zeugnis der Bibel angewiesen. Die Anklageschrift ist kurz und wurde dann auch ans Kreuz genagelt: »König der Juden«. Das deutet in zwei Richtungen. Die Römer verstanden Jesu Wirken wahrscheinlich als Angriff auf ihren Herrschaftsanspruch. Diesen Rückschluß erlaubt auch die Tötungsart. Die Kreuzigung galt damals als die grausamste und schändlichste Strafe. Sie wurde vor allem über Sklaven und Aufrührer verhängt. Die Römer verurteilten Jesus als politischen Rebellen, obwohl er sicher nie als solcher aufgetreten ist. Aus jüdischer Perspektive läßt die Anklage »König der Juden« den Schluß zu: Jesus wurde verurteilt, weil er beanspruchte, der Messias zu sein. Damit ist jedoch nichts darüber gesagt, ob sich Jesus tatsächlich so verstanden hat. Das ist eher unwahrscheinlich.

Wie es zur Verurteilung Jesu kam, ist historisch kaum rekonstruierbar. Die Evangelien berichten von zwei Prozessen: dem Verhör und der Verurteilung durch das Synhedrium, das jüdische Gericht, und der anschließenden Auslieferung an die römischen Behörden und einem zweiten Verfahren vor Pontius Pilatus, das mit dem Todesurteil endet. Wie die Prozesse juristisch zusammenhängen, ist unklar. Ob das Synhedrium die Kompetenz für ein so weitreichendes Urteil überhaupt hatte, ist offen. Sicher ist dagegen, daß Pilatus nicht einfach ein jüdisches Urteil vollstreckte, sondern als römischer Statthalter seine eigene Entscheidung traf.

ind diese formaljuristischen Details eines Gerichtsverfahrens, das zweitausend Jahre zurückliegt, so wichtig? Sie sind wichtig, denn hier liegen die Wurzeln eines christlichen Antisemitismus, der ebenso lang schlimmste Wirkung gezeigt hat. Bei genauem Hinsehen ist klar: Die verhängnisvolle Rede, die Juden hätten Jesus ans Kreuz gebracht, ist in keiner Weise haltbar. Interessanterweise wurde der Fall Jesu nicht ad acta gelegt, wie so viele Schicksale politisch Verfolgter, die öffentliche Empörung auslösen, aber dann wieder rasch aus dem Kurzzeitgedächtnis moralischer Entrüstung verschwinden. Hier lief die Sache anders. Der Fall Jesus wurde zu einem Fall für den Glauben.

Genauer gesagt erschüttert der grausame Justizfall den Glauben zunächst einmal, damals wie heute: Der Mann, mit dem das Reich Gottes nahe herbeigekommen ist, stirbt am Kreuz. Mit seinem Tod sind zunächst alle Hoffnungen auf eine bessere, heilvolle, gerechte Welt zunichte gemacht. Das Kreuz ist ein anstößiges Symbol des Scheiterns. Es ist zum Davonlaufen, im wahrsten Sinne des Wortes: Die Jünger haben sich entsetzt davongemacht. Auch heute tun sich viele Christen schwer, den Tod Jesu auszuhalten, sich nicht vorschnell in Erklärungen zu flüchten oder das Kreuz als Symbol des Triumphes über die Welt umzudeuten.

Paulus hat mit seiner Kreuzestheologie einen entscheidenden Beitrag geleistet, indem er das Kreuz nicht als Störfall abgetan hat, sondern als einen unverzichtbaren Teil des christlichen Glaubens erkannt hat. Dieser gräßliche Tod steht in krassem Widerspruch zur »Weisheit der Welt«, den üblichen menschlichen Maßstäben und Wertvorstellungen; von außen gesehen ist das Kreuz Torheit (1Kor 1,18), aber bei Gott ist es Weisheit.

Worin liegt die Weisheit des Kreuzes? Die Antwort in der Sprache der Tradition heißt: Christi Tod hat uns das Heil gebracht. Oder anders gesagt: Mit dem Schicksal des einen Menschen Jesus Christus ist das Schicksal der Menschheit entschieden. Christus ist für uns gestorben. Das ist die zentrale Aussage des christlichen Glaubensbekenntnisses und zugleich ist sie eine der schwierigsten. Problematisch wird es, wenn sich theologische Denkfiguren anlagern, die Jesu Tod deuten als Sühneopfer für unsere Schuld und als stellvertretenden Opfertod, um uns mit Gott zu versöhnen. Das sind theologische Vorstellungen, die schon immer Fragen aufgeworfen haben. Ist Gott ein unangreifbarer Herrscher, der unerbittlich auf Recht und Ehrerbietung pocht und da, wo sie ausbleiben, sich ein Opfer sucht, das ihm Genugtuung verschafft? Welch eine grausame Vorstellung, daß Gott einen Tod braucht, um gnädig gestimmt zu werden.

Der christliche Glaube lebt davon, daß Gott das nicht getan hat. Vielmehr identifiziert er sich mit dem Leiden Jesu und wird selbst ein Leidender. In der äußersten Tiefe des Daseins kommt Gott dem Menschen nahe. Er macht unser Schicksal zu seinem. An die Stelle von der Allmacht Gottes tritt die Niedrigkeit. Die Identifikation Gottes geht soweit, daß sie auch im Tod nicht aufhört. Gott selbst erträgt in Jesus den Tod.

Am Kreuz wird deutlich: Gott ist solidarisch mit den Leidenden und den Verachteten, mit denen, die am Leben leiden, oder denen das Leben zur Qual gemacht wird. Aber mehr noch, Gott steht auf der Seite aller Menschen, auch der Schuldigen. Er steht auf unserer Seite, gerade da, wo wir zu Tätern geworden sind. Nicht um böse Taten, Sünde und Schuld zu rechtfertigen, sondern um Menschen von ihrer Schuld zu befreien und ihnen ein neues Leben zu ermöglichen. Gott tritt unterschiedlos für den Menschen ein. Auch das macht die Botschaft vom Kreuz so anstößig.


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