Licht und Finsternis - Und die Nacht leuchtet wie der Tag

Rainer Gollwitzer

Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht.« Mit diesen Worten erzählt die Heilige Schrift bekanntlich vom ersten Werk des Schöpfers am ersten Schöpfungstag. Mit Hilfe des Lichts besiegt er das Durcheinander aus Urfinsternis und Vorzeitfluten. Mit Hilfe des Lichts wird das Tohuwabohu zur Ordnung, das Chaos zum Kosmos. Mit der Erschaffung des Lichts kann endlich das Leben beginnen. Die Schöpfung wird geboren, »kommt zur Welt«, wächst in langen, ereignisreichen Schaffensperioden heran, reift in Jahrmillionen dauernden Schöpfungsphasen.

Diese schöne poetische Aussage der Heiligen Schrift vom Licht als Voraussetzung allen Lebens hat den Vorzug, daß sie auch zeitgenössisch-kritischen Menschen nachvollziehbar ist. Naturwissenschaftler und Theologen, die es nicht immer leicht miteinander haben, sind sich an diesem Punkte einig. Ohne Licht kein Leben. Licht und Leben sind schier miteinander identisch. Bildhaft ist noch immer gerne die Rede von einem »Lebenslicht«, das mit der Geburt gleichsam entzündet wird, und das Sterben wird gleichnishaft als Erlöschen eben dieses Lichts beschrieben.

Wen wundert es, daß der Schöpfer des Lichts und des Lebens von den Glaubenden aller Zeiten selbst als Licht und Leben bezeichnet wird. »Der Herr ist mein Licht und mein Heil« bekennt der Psalm 27. Und der 36. Psalm rühmt »Du bist die Quelle des Lebens, und in deinem Lichte sehen wir das Licht«. »Licht ist das Kleid, das du anhast«, preist der Psalm 104, und der 1. Timotheus resümiert »Gott wohnt in einem Lichte da niemand zukommen kann«. Wenn Gott auf diese Weise als »Licht« oder »im Licht« beschrieben wird, dann sicher nicht im Sinne einer Definition Gottes. Die Sänger und Beter der Bibel greifen damit »nur« zur höchstmöglichen Aussage, um das Wesen Gottes, des Vaters, einigermaßen angemessen und möglichst lebenskräftig zu beschreiben.

Auch Gott der Sohn, zu dessen Erklärung unsere Worte nicht hinreichen, ist in dieser »nur« poetischen Kategorie vom Licht am besten zu verstehen. Die drei ersten Evangelien reden einmütig davon, daß den Jüngern auf dem »Berg der Verklärung« endlich »klar« wird, wes Geistes Kind der Zimmermannssohn aus Nazareth wirklich ist. »Seine Kleider wurden weiß wie das Licht« heißt es in Matthäus 17 und den Parallelen. Seine nahe Verwandschaft zu Gott wird ihnen »erklärlich«, seine Göttlichkeit schimmert durch und scheint hell auf. Das vierte Evangelium wird deutlicher. Johannes identifiziert Jesus mit dem Licht, mit Gott selbst also. »Im Anfang war das Wort ... und das Licht scheint in der Finsternis«, heißt es im 1. Kapitel mit eindeutigem Bezug. Und im 8. Kapitel hören wir es aus dem Munde Jesu selbst: »Ich bin das Licht der Welt!« Im Nizäischen Glaubensbekenntnis Jahrhunderte später wird es von ihm heißen, er sei »Licht vom Lichte, wahrer Gott vom wahren Gott«.

Entsprechend werden auch die Menschen, die Geschöpfe und Kinder Gottes, mit dem Wort »Licht« bezeichnet. »Ihr seid das Licht der Welt«, sagt Jesus in der Bergpredigt (Matthäus 5) zu den Jüngern, und in Lukas 16 spricht er von »Kindern des Lichts«, eine Redeweise, die auch der Epheserbrief in seinem 5. Kapitel verwendet. »Wandelt wie die Kinder des Lichts«, lautet dort die Aufforderung zu einem gottgefälligen Leben. Bekräftigend kann zuvor gesagt werden: »Ihr seid Licht in dem Herrn!« So bezeichnet die Rede vom »Licht« nicht nur Gott und seine Geschöpfe. Durchgängig ist damit in der Bibel auch eine bestimmte Weise zu leben gemeint. Wer zu Gott gehört, soll leben, wie es Gott, »dem Vater des Lichts«, entspricht und Jesus Christus, »dem Licht der Welt«, nämlich sich aufmachen und licht werden«, wie es schon in Jesaja 60 beschrieben ist, und »im Lichte Gottes wandeln«, wie es bereits Jesaja 2 ausdrückt.

Mit dem gegenteiligen Begriff »Finsternis« bezeichnet die Bibel alle gottfeindlichen Kräfte der Welt. Die Macht des Chaos »am Anfang« ist als Finsternis beschrieben. »Aus der Finsternis« regt sich aller Widerspruch gegen Gott. »Finsternis bedeckt das Erdreich und Dunkel die Völker«, heißt es in Jesaja 60 für einen trostlosen Zustand der Weltgeschichte. Auch alles individuelle Leiden der Menschen kann als »Finsternis« beschrieben werden, wie es das Buch Hiob mit seiner häufigen Erwähnung des Wortes belegt. »Finsternis« im Johannesevangelium und in den Johannesbriefen meint das widergöttliche Prinzip schlechthin, das Reich des Bösen, des Satans, die Hölle, die Verdammnis. Und wiederum, wie schon beim gegenpoligen Begriff des »Lichts«, kann auch »Finsternis« eine bestimmte Weise zu leben meinen: das Leben in der Ferne zu Gott, in Ablehnung und Auflehnung, in Sünde.

So wird auch der Tag des Gerichts »finster sein«, wie etwa vom Propheten Amos in seinem 5. Kapitel beschrieben. Der »Tag Jahwes ist Finsternis und nicht Licht«. Gott kann die Finsternis als sein Instrument einsetzen, wie damals als Plage für die Ägypter. Beides also steht Gott zu Gebote, Finsternis und Licht. »Das Volk, das im Finstern wandelt, das sieht ein großes Licht«, lautet seine Verheißung aus Jesaja 9. Und nicht wenige Psalmen rühmen ihn als den, der »meine Finsternis licht macht«. Der tiefsinnige 139. Psalm schließlich bekennt: »Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht«. Wenn es Gott jedoch gefällt, »will er im Dunkel wohnen«, wie das Tempelweihegebet des Königs Salomo in 1. Könige 8 hinreißend beschreibt. Mit anderen Worten: Gott ist nicht zu fassen, schon gleich nicht mit Worten. Gott ist frei, und »Du sollst dir kein Bildnis machen« auch kein begriffliches und kein Gedankengebäude.

Aber der Mensch darf »tappen nach Vergleichen«, so der Dichter Max Frisch, »nach allen Dingen im All, nach Blumen und Tieren, nach Wolken, nach Sternen, nach Meeren«, um »Gottes unerschöpfliche Geräumigkeit«, »alles Möglichen voll, aller Geheimnisse voll«, andeutungsweise auszusagen. Irgendwo auf der Skala zwischen Licht und Finsternis wird er wohl zu finden sein, vermutlich aber auf der ganzen Bandbreite des Spektrums.


Zurück zur Übersicht