Priester, Pfarrer, Amt
Die Kirche bedarf prophetischer Stimmen

Andreas Ebert

Kein Thema behindert die Einigung der großen Kirchen in unserer Zeit so sehr wie die Amtsfrage. Die römisch-katholische Kirche geht davon aus, dass es seit den Tagen der Apostel eine ununterbrochene Ämterkette gibt: Die Apostel hätten durch Handauflegung Bischöfe geweiht, die diese Weihe dann weitergegeben hätten - bis heute.

Nur Bischöfe, die in dieser "apostolischen Sukzession" (Nachfolge) stehen, hätten das Recht, Priester zu weihen. Und nur gültig geweihte Priester dürften predigen und die Sakramente verwalten. Im Jahre 1871 wurde darüber hinaus das Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes verkündet. Es besagt, dass der Papst, wenn er "ex ca~thedra" spricht - das heißt: wenn er ausdrücklich sein "Lehramt" als Stellvertreter Christi auf Erden wahrnimmt - auch ohne Absprache mit den übrigen Bischöfen Dogmen verkünden kann. Dogmen sind Lehrsätze, die jeder Katholik aktiv glauben muss. Tut er das nicht, schließt er sich aus der kirchlichen Gemeinschaft aus.

Erschwerend kommt hinzu, dass die römisch-katholische Kirche lehrt, die hierarchische Struktur der Kirche (Laie mit wenig oder keinen Rechten - Diakon - Priester - Bischof) sei nicht nur eine menschliche (veränderliche) Kirchenordnung, sondern ewig gültiges "göttliches Recht". Deshalb wird unter anderem die Ordination evangelischer Amtsträger, die nicht in der Àapostolischen SukzessionË stehen, katholischerseits nicht anerkannt. Das ist eines der Haupthindernisse für gemeinsame Abendmahlsfeiern.

Luther ging zunächst davon aus, dass eine christliche Gemeinde Recht und Vollmacht hat, die Verkündigung ihrer Hirten zu prüfen und Pfarrer ein- und auszusetzen. Nach seiner Lehre vom "allgemeinen Priestertum aller Gläubigen" sind alle Getauften "Priester, Bischof und Papst". Jede Christin und jeder Christ hat eine unmittelbare Gottesbeziehung und bedarf keiner priesterlich vermittelnden Amtspersonen, um zum Heil zu gelangen. Jetzt aber kommt der Pferdefuß: Um der kirchlichen Ordnung willen soll dennoch niemand öffentlich lehren, der nicht "ordentlich berufen" (ordiniert) ist. Das hat dazu geführt, dass sich die lutherische Auffassung vom kirchlichen Amt, das vor allem als Predigtamt verstanden wird, nur theoretisch markant von der römischen Lehre unterscheidet. In der Praxis ist eine Pfarrerskirche entstanden, in der die "Geistlichen" (eine verräterische Bezeichnung!) nach wie vor viele alte Priesterfunktionen ausüben.

In der neutestamentlichen Gemeinde gibt es keine Priester. Der Titel "Hoherpriester" ist Christus selbst vorbehalten. Alles deutet darauf hin, dass Jesus für die Seinen keine Ämterhierarchie wollte: "Die Könige halten ihre Völker nieder, und ihre Machthaber lassen sich Wohltäter nennen. Ihr aber sollt nicht so sein! Sondern der Größte unter euch soll wie der Jüngste sein, und der Führende wie der Dienende" (Lukas 22, 25.26). Paulus beschreibt im 1. Korintherbrief die Gemeinde als Organismus, in dem alle Körperteile einander dienen, ohne dass eine Überordnung oder Unterordnung erkennbar wäre. Mehrmals zählt Paulus verschiedene geistliche Begabungen und Dienste auf, wobei auch verschiedene Leitungsgaben genannt werden - aber nie an erster Stelle (z.B. 1. Kor. 12-14). Im 1. Petrusbrief wird die gesamte Gemeinde als "königliche Priesterschaft" bezeichnet (1. Petr. 2,9).

Die Modelle der katholischen Priester- und Papstkirche wie der protestantischen Pfarrerskirche haben im Laufe der Zeit zur geistlichen Entmündigung der Gemeinden geführt. Volkskirchliche Gemeinden gleichen nur bedingt einem Organismus, in dem viele Gaben gleichberechtigt zusammenspielen. Ein Hauptamtlicher, der bezahlt wird, ist für Predigt, Seelsorge, Unterricht, Koordination und Verwaltung gleichermaßen zuständig. Das überfordert Amtsträger und unterfordert "Laien" - auch wenn sich solch ein System viel leichter handhaben lässt als eine Form der Gemeinschaft, wie sie Paulus vorgeschwebt hat. (Deswegen sehen wir bereits in den Spätschriften des Neuen Testaments, wie sich Ansätze eines "Amtes" und einer Führungskaste herausbilden).

Die meisten Religionen kennen eine Priesterkaste. Sie ist vor allem für das Opferwesen zuständig. Nachdem sich nach christlicher Auffassung Christus als Hoherpriester selbst ein für allemal geopfert hat, ist jedes weitere Opfer - und damit jeder vermittelnde priesterliche Dienst - überflüssig geworden. Die Kirche bedarf wohl eher prophetischer Stimmen, die die Menschen daran erinnern, dass bereits alles "vollbracht" ist. Können das gut besoldete Amtsträger sein?

Freilich: Die meisten Versuche in der Geschichte, Kirche ohne Ämter und Hierarchie zu gestalten, sind gescheitert. Ein herrschaftsfreies Miteinander, wie es Jesus vorgelebt hat, bedarf großer geistlicher und menschlicher Reife und Kompetenz aller Beteiligten. Es würde vermutlich zu einem heillosen Chaos führen, wenn man über Nacht alle kirchlichen Ämter abschaffen würde. Die "Geistlichen" sind nicht darauf vorbereitet, spirituelle Macht abzugeben - und nur wenige Laien sind darauf vorbereitet, deutlich mehr spirituelle Verantwortung zu übernehmen. Aber es könnte die Aufgabe unserer Zeit sein - auch angesichts finanzieller Engpässe - das "allgemeine Priestertum aller Gläubigen" neu zu entdecken. Immer weniger wäre Gemeinde dann "der Herr Pfarrer und seine Mitarbeiter(innen)". Es würde vielmehr bedeuten, dass die Gaben der Laien systematisch entdeckt und gefördert würden. Das würde eine Schwerpunktverlagerung kirchlicher Arbeit bedeuten: Pfarrerinnen und Pfarrer wären immer weniger "Macher" und immer mehr Impulsgeber/innen und Moderator/innen. Amtsträger/innen und Laien müssten umdenken und sich von liebgewordenen Rollen und Strukturen verabschieden. Wir alle müssten lernen, dass eine "Amtskirche" bestenfalls ein Notbehelf ist, der - wenn es gut geht - dem Reich Gottes den Weg bahnt und - schlimmstenfalls - blockiert. Sie muss immer wieder selbstkritisch fragen, ob ihre jeweiligen Strukturen und Ämter dem Wirken des Heiligen Geistes (noch) förderlich sind. Gerade weil wir Lutheraner glauben, dass die Gestalt und Struktur der Kirche nicht "göttlichen Rechts" ist, sondern sehr unterschiedlich ausgeprägt sein kann, darf es hier keine Denk- oder Experimentierverbote geben. Die Kirche steht vor der Entscheidung, ob sie immer mehr zu einem Unternehmen und zu einem professionellen Dienstleistungsbetrieb werden will oder ob sie sich an neutestamentlichen Leitbildern einer herrschaftsarmen Gemeinschaft orientiert, in der Starke und Schwache Platz haben und einander brauchen und dienen.

Letztendlich gibt es keine Struktur, die an und für sich gut ist. Selbst die radikalste Basisgemeinde kann sich in destruktiven Machtkämpfen zerfleischen und das Evangelium in Verruf bringen. Und ein Papst, der die Menschen liebt und ihnen dient wie Johannes XXIII. kann - trotz seines problematischen Amtes - ein Hoffnungsträger des Reiches Gottes sein. Der Heilige Geist kann in der dürftigsten Struktur und ihren Funktionären wirken - und der Ungeist kann die beste Struktur verderben. Verwandte Menschen - ob sie Amtsträger sind oder nicht - sprengen immer das Vorfindliche und machen Raum für Gott selbst.


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